Funktions- und Gestaltwandel der Kulturhäuser im staatlichen Kulturbetrieb der DDR

Simone Hain

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Abstract

Funktions- und Gestaltwandel der Kulturhäuser im staatlichen Kulturbetrieb der DDR

Man kann durchaus sagen, die DDR hat sich baukulturell vor allem in ihren mehr als 2.000 großen und kleinen Kulturhäusern verwirklicht. Verglichen mit anderen Bauaufgaben und in Gegenüberstellung zur westdeutschen Nachkriegsarchitektur sind sie wirklich speziell. Doch wofür stehen sie und welche Rolle spielte gerade das Potsdamer Kulturhaus „Hans Marchwitza“ in diesem Zusammenhang?

Um dies zu verstehen, muss man vier Phasen sowohl ihrer architektur- als auch konzeptionsgeschichtlichen Entwicklung unterscheiden. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der 1950er Jahre setzte etwas ein, was man als spontane und zugleich vielgestaltige Rückkehr zur Tradition der Volkshäuser beschreiben kann. Angesichts der existentiellen Nöte und der Zerstörungen im Land erstaunt die Opferbereitschaft und Bauleidenschaft, mit der die am 1. Mai 1933 durch die Zerschlagung der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Infrastruktur unterbrochene Volkshausbewegung zurückkehrte. Aus mehreren historischen Wurzeln kommend, die sich bis in den Vormärz zurückverfolgen lassen, brachen sich im Zeichen der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ sogleich vielfältige kulturelle Aktivitäten Bahn, die auf die Vermittlung von humanistischen Werten, Pazifismus und Völkerverständigung orientiert waren. Darüber hinaus sahen sich in den enteigneten Großbetrieben die Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre zusätzlich herausgefordert, den nationalsozialistischen Kulturangeboten der „Kraft durch Freude“-Programme überbietend entgegenzutreten.

Während in den ersten fünf Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, oft in bewährter Selbsthilfe und mit dem Muskelkapital aller Beteiligten, architektonisch sehr verschieden gestaltete Kultur- und Spielstätten entstanden waren und von Kulturarbeitern verschiedener Generationen und ideologischer Hintergründe, namentlich aus der Jugend- und Reformbewegung. programmatisch durchaus divers geführt wurden, begann ab 1950 eine strenge Ausrichtung auf sowjetische bzw. stalinistische Zielvorstellungen. In den von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) geführten Betrieben trat mit der sowjetischen Besatzungsmacht auch ein besonderer Bauherr in Erscheinung, der die selbstaufklärerisch-emanzipative deutsche Volkshaustradition um ein entscheidendes Moment transformierte und mit der Belegschaftspflege kombinierte: Im Unterschied zu der auf freidenkerischen und kämpferisch atheistischen Grundlagen gewachsenen Arbeiter-Selbsthilfekultur der späten Kaiserzeit und der Weimarer Republik, die wesentlich gegenkulturell orientiert war, basierte die nun staatlich verordnete Kulturkonzeption auf der Überzeugung, die Arbeiterklasse müsse in jeder Beziehung das Erbe der bürgerlichen Kultur und namentlich die nationalen Traditionen pflegen antreten. Hierfür solle sie, unter der Obhut der besten Künstler, (vormals elitäre) Kennerschaft und hochkulturelles Kunstverständnis entwickeln: „Erstürmt die Höhen der Kultur!“ Als Erinnerungszeichen dieser Periode stehen die baulich überaus prächtigen Kulturpaläste, sei es in Böhlen, Bitterfeld oder Unterwellenborn, die unmittelbar an den Werktoren industrieller Produktionsstätten errichtet worden sind, um – so die dahinterstehende Idee –in einem veredelnden Sinne auf die Produktion zurückzuwirken. Mit ihren klassizierenden Fassaden und den (unbedingt geforderten!) opernfähigen Bühnen symbolisierten sie architektonisch die Idee der ganzheitlich entfalteten Arbeiterpersönlichkeit und setzten dem weit verbreiteten Nachkriegsexistentialismus eine feierliche Gegenbehauptung von neu gewonnener Würde entgegen. Die großartige Architektur vieler Häuser jener Jahre setzte architektonisch ins Bild, was der Dichter (und Kulturminister jener Jahre) Johannes R. Becher: wie eine trotzige Beschwörungsformel in Umlauf gebracht hatte: „Wir erhoben uns Gestalt zu sein.“

So sehr diese Paläste für singende, Schach spielende und forschende Bergleute auf dem sogenannten „Bitterfelder Weg“ bis heute die Utopie und Verblendung der DDR-Kulturpolitik repräsentierten, so kurz war eigentlich aber die Periode, in der sie als Institution erster Wahl angesehen wurden. Bereits ab 1956 setzten sich aus dem Milieu vormaliger Kommunalpolitiker der Weimarer Republik und von Seiten der Blockparteien kommend immer mehr Kräfte durch, die im Zuge einer staatsrechtlichen Gesetzesnovelle eine kommunale Ausrichtung der Bauprogramme forderten. In der Folge wanderten die Investitionen für Bauten der Kultur und Begegnung von der industriellen Peripherie verstärkt in die Zentren der Städte, nicht zuletzt, weil dort zwei Jahrzehnte nach Kriegsende noch immer riesige Wunden klafften und Trümmerstätten des Wiederaufbaues harrten. Man kann dies durchaus auch als Kompensationsbewegung zur herrschenden Abrisspolitik verstehen, als eine Wiedergutmachung, die die Denkmalpflege auf der Ebene der „örtlichen Organe“ über die Bürgermeister und Stadtarchitekten auszuhandeln verstand. Mit der Einrichtung kommunaler Kulturhäuser, jetzt häufig ausdrücklich als „Klubs der Intelligenz“, ging abermals eine kulturkonzeptionelle Wende einher.

In Potsdam darf man diese, aufgrund der kurzen Wege zwischen Kulturwissenschaft und Rathaus, als besonders fruchtbar vermuten. Pointiert gesprochen, wurde damals von dem Potsdamer Kulturwissenschaftler Helmut Hanke für die DDR das Phänomen „Freizeit“ entdeckt und theoretisch mit der von Karl Marx „disposable time“ genannten Sphäre der individuellen Mehrproduktion von „freier Zeit“ verbunden. Helmut Hanke, Ehemann der Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke, charakterisierte, sicher gefördert durch den liberalen Geist der Kulturpolitik unter dem antistalinistischen Kulturminister Hans Bentzien, Freizeit sehr weitläufig als autonom und wies ihr ein idealtypisches Potential von „Freiheit“ zur Selbstverwirklichung zu. War während der 1950er Jahre, in guter deutscher Werkbundtradition, Kultur als akkordierte kollektive Wertsteigerung und folglich dezidiert als Teil der Arbeit und der Produktion verstanden worden, begann sich eben jetzt ihre existentielle Lebensbezogenheit herauszuschälen. Marchwitzas Motto „Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens“, der als Leitspruch für das Potsdamer Kulturhaus gewählt wurde, hat eine anderen Kontext als Bechers betont kollektive Gestaltwerdung. „Jeder zweite Herzschlag“, das klingt nicht zufällig nach Yin-und-Yang oder Standbein-Spielbein und verweist auf völlig andere weltanschauliche Zusammenhänge als das prioritär auf die Hebung der Produktionsethik orientierte Kulturkonzept der 1950er Jahre. Anstelle einer bewußt arbeitenden und Produktverantwortung übernehmenden Persönlichkeit, ist mit Hankes neuem, ausgesprochen realistischen Paradigma zart, aber irreversibel die Zweck-Freiheit in den lebensweltlichen Alltag des Individuums getreten: Spiel statt Norm. „Ankunft im Alltag“ der kleinen Tradition statt Welt fremder Heroismus.

Hinter alledem gibt sich eine umstürzende kulturpolitische Neuorientierung zu erkennen. So wenig Hanke in seinen späteren Büchern mit den wirklichen Menschen und ihrer Lebensrealität hadert, so sachlich und menschenfreundlich ist auch das Kulturhaus „Hans Marchwitza“ angelegt. Das bezieht sich nicht allein auf ästhetische Ausdrucksqualitäten wie den Schriftzug, das Wandbild „Potsdamer Alltag“ von Werner Nerlich oder Hedwig Bollhagens Keramik. Spürt man der singulären Bedeutung des Potsdamer Kulturhauses nach, dann scheint die schier unglaubliche Verhältnismäßigkeit seine Sonderstellung als neuem Herz der Stadt zu begründen: Sei es nun die enge Beziehung zwischen kulturpolitischem Überbau und lokalstolzer Kommune, die ausgesprochen ausgewogen scheint, oder die durch das Projekt in Schwingung versetzten Synergien von Stadtentwicklung, Denkmalpflege und völlig unspektakulärer Bürgerschaftlichkeit. 1966 zeigte sich das Haus als ein Exempel des Gelingens: up to date, und das nicht allein gemessen an den Bedingungen der damaligen Zeit.

Die Zeit der intimen kommunalen Freizeitstätten war bereits vorüber, als die innerstädtischen Kulturhausbauten in der Ära Honecker nach dem Typ einer multifunktionalen Stadthalle sich zunehmend auf rezeptive popkulturelle Massenbedürfnisse auszurichten begannen und in der vierten Entwicklungsphase zunehmend einer Kultur konsumistischen Programmatik folgten wie prominenter Weise der „Palast der Republik“ in Berlin mit seinen Shows und Megaevents. Im wiedervereinten Deutschland hat dieser Trend unter neoliberalen Verhältnissenn fast flächendeckend zu Lasten der partizipativen und Diskurs orientierten Kommunikationskultur von den Städten und Gemeinden Besitz ergriffen. Anstelle der ursprünglichen „Kultur für den werktätigen Betrieb“ ist nun eine vollständig nach kommerziellen Parametern produzierende Kulturindustrie geworden. Freistätten für kommunale Selbstreflektion werden immer rarer.
Original languageGerman
Title of host publication"Unterm goldenen Atlas"
Subtitle of host publicationZum 50. Jahrestag der Eröffnung des Kulturhauses "Hans Marchwitza"
PublisherPotsdam Museum - Forum für Kunst und Geschichte
Publication statusPublished - May 2016

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