830 Burj Khalifa _ be high as much as you can / ausreisser # 66 utopia now!

Research output: Contribution to specialist publicationArticle

Abstract


830 Burj Khalifa – be high as much as you can!

‚Wer heute nicht bereit ist, am Turm zu Babel zu bauen, hat kein Recht Architekt zu sein.’ |1|

In einer Zeit, in welcher der Mensch mit seiner Dimension weitgehend an Bedeutung verloren hat und insbesondere in der Architektur nur mehr – wenn überhaupt – Dekor für irgendwelche Gebäude ist, bleibt zu fragen, ob wir uns gegenwärtig in den Utopien der Architekten vergangener Dekaden befinden, oder ob der Kapitalismus inzwischen derartig zugeschlagen hat, dass jegliche Massstäblichkeit den Bach hinunter gegangen und der Superlativ zum einzig gültigen Weltmodell geworden ist: größer, schneller, weiter...

Vielleicht geht es aber auch gar nicht um die Beantwortung dieser Frage, da diesbezüglich wahrscheinlich – oder offensichtlich – das eine mit dem anderen Hand in Hand gegangen ist. Schon immer war der Mensch, vor allem der Architekt – eher seltener aber dennoch auch die Architektin – davon besessen, Utopien zu spinnen und deren Realisierung zu versuchen. Nichts kurbelt die Phantasie mehr an, als Dinge die es nicht gibt. Davon zeugt nicht nur der Turmbau zu Babel. Man denke zum Beispiel in der jüngeren Geschichte an die Walking City der britischen Architektengruppe Archigram von 1964. Ein schwindelerregendes, pfauchendes und rauchendes monströses Gebilde, das sich wie ein riesiger, blechener Dinosaurier durch die Landschaft bewegt, 20.000 Einwohner beherbergt und ganz auf die Bedürfnisse der Einwohner abgestimmt ist. Oder auch an Frank Lloyd Wrights Idee von 1956 für den Wolkenkratzer Mile High Illinois: Eine vertikale Stadt, eine Meile hoch für 130.000 Einwohner, mit 500 Stockwerken und atomar betriebenen Aufzügen!

Während diese Utopien der 50-er und 60-er Jahre des 20.Jahrhunderts, aber auch jene des Turmbaus zu Babel stets verbunden waren mit der Idee einer idealen, ganzheitlichen Gesellschaft, haben die gegenwärtigen architektonischen Utopien, die inzwischen keine mehr sind, da sie bereits realisiert wurden, diesen Anspruch nicht nur weitgehend verloren, sondern von Beginn an nie gehabt. Der Burj Khalifa in Dubai, das derzeit höchste Gebäude der Welt mit 830 m Höhe, benannt nach dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, ist ausschließlich einer betuchten Elite zugänglich und steht somit für wirtschaftliche und machtpolitische Interessen. Zumal soll bis Ende des Jahrzehnts die Höhe des Burj Khalifa übertrumpft sein. Einen Kilometer soll dann das höchste Gebäude der Welt, der Kingdom-Tower in Saudi-Arabien, in den Himmel ragen.

Nicht eine Sprachverwirrung, gepaart mit dem Mythos der Sprachentstehung, wie noch in Zusammenhang mit dem Turmbau zu Babel im Alten Testament beschrieben, tritt ein, sondern alles rundherum wird stumm – weil es einem die Sprache verschlägt, so unglaublich sind die gegenwärtigen Allmachtsphantasien zur Architektur der Superlative. ‚Es gibt für diese Bauten keine Umwelt, keine Bezugspunkte, sie existieren in sich und für sich selbst, ruhen auf sich bezogen im Nirgendwo des Absoluten.’ |2| Das ersehnte Pfingstwunder des Heiligen Geistes, das weltweite Verständigung und Einheit verheißt, lässt so vergeblich auf sich warten.

Die Vielfalt der Sprachen weltweit kann als Ergebnis differenzierter Lebenserfahrungen begriffen werden und auch als eine Bedingung der persönlichen Zuwendung zu unseren Nachbarn. Sprache bedeutet nicht nur ein System der Kommunikation, sondern ebenso ein System der Projektion von menschlichen Wirklichkeiten, die auszutauschen es gilt, um Verständnis überhaupt entwickeln zu können.
Die Sprache der Architektur, des Gebauten, kann diesbezüglich Mittler sein indem sie so vielfältig wie die Sprachen, ausgestattet mit einer bestimmten Offenheit, Raum schafft für unterschiedliche kulturelle Bedürfnisse. Was den Menschen dann ursächlich ausmacht hängt nicht davon ab, welche der vorhandenen Kulturen wir für die Ursprünglichste, Zukunftsträchtigste oder Vollkommenste halten, und auch nicht davon, welche Formen des Gemeinschaftlichen, der Individualität und des Austausches angenommen oder durchgesetzt werden sollen, sondern davon, welchen tatsächlichen Umgang wir mit anderen Menschen pflegen, abseits des Traums der Medienwelt, der von einer universellen Kommunikation zwischen dem Menschen, den Maschinen und dem Kosmos erzählt.

Bei einem heutigen Turmbau zu Babel sollte es dementsprechend um eine Architektur handeln, die für eine dem Weltfrieden verpflichtete Gesellschaft steht statt jenen himmelschreienden, sich im Höhenrausch des Kapitalismus wiegenden Erektionen.

Möchte man diesbezüglich von einer guten oder nachhaltigen Architektur sprechen, so muss es eine sein, die den Anspruch, fertig zu sein und als Machtsymbol wirksam zu werden erst gar nicht stellt, sondern eine, die erst mit dem Altern und der Benutzung ihrer ‚Bewohner’ einer Vollkommenheit entgegen strebt. Dahingehend steht der Architekt und auch die Architektin erneut im Kampf mit der Idee, einerseits für die Ewigkeit zu bauen und andererseits der Kurzweiligkeit des menschlichen Schaffens und Handelns gerecht zu werden. Was diese Kluft zusammen hält ist eine lebendige und bewegte Gesellschaft die sich an Begegnungen, gemeinsamen Erlebnissen und neuen Entdeckungen, statt an eingefrorenen Meinungen und Klassifizierungen orientiert. Für ein derartig bewegtes, soziales Netzwerk zu bauen, ist die aktuelle Herausforderung für die Architektur. Ein Utopia, dessen Realisierung in Angriff genommen werden soll, auch wenn noch nicht absehbar ist wohin genau sich diese Utopie schließlich konkret bewegen wird. So gesehen bleibt eigentlich nur ein Credo für eine neue, babylonische Architektur: build social – as much as you can!
Nur so kann dem eingangs erwähnten Zitat von Wolf Prix ernsthaft und gewissenhaft Folge geleistet und vielleicht doch einem Pfingstwunder entgegen gegangen bzw. gebaut werden...



|1| Wolf Prix, Coop Himmelb(l)au, 2002 in: Der Turmbau zu Babel_ Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift, Hrsg. Wilfried Seipel, Ausstellungskatalog 2003 Kunsthistorisches Museum Wien; Band 1 im Beitrag von: Dietmar Steiner ‚Die Hure Babylon und One Mile High S. 95

|2| Johann Kräftner, Der Babylonische Turm – ein Archetyp abendländischen Bauens in: Der Turmbau zu Babel_ Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift, Hrsg. Wilfried Seipel, Ausstellungskatalog 2003 Kunsthistorisches Museum Wien; Band 1, S. 94

Franziska Hederer



Original languageGerman
Pages1-1
Specialist publicationAusreißer - die Grazer Wandzeitung
Publication statusPublished - 1 Oct 2015

Fields of Expertise

  • Sonstiges

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